Home
Der Roman
Leseproben
Kontakt
Operation Maiglöckchen
Vom Märchen Finanzkrise
Der Tanz mit dem Teufel
Der Kardinal
Inkognito
Der Klang der Stille


Der Tanz mit dem Teufel


Da war Sie, Patrizia Müller, Regentin des Familien-Imperiums, und fegte wie eine Furie über das Land. Jonas hatte immer ein mulmiges Gefühl, wenn Sie sich in der Klause einfand, dem häuslichen Vorposten ihrer Mülheimer Büros. Er hatte den Sturm aufziehen sehen und sich in ein kleines, angrenzendes Beratungszimmer geschlichen. In die weitläufigen Eingeweide Domizils zu fliehen, hatte er nicht gewagt.

Medusa von Arnold Böcklin

"Jonas van Rathen, was hast du getan? Du hast Seniore Jacobi schwer beleidigt. Ein Glück, dass er dir den Vorfall - dank deiner Jugend - großzügig nachgesehen hat. Deine Bemerkung war unangebracht!"

Jonas wusste das. Aber es erschienen ihm zu wichtig, um es zu verschweigen: "Die Kosteneinsparung durch die Fusion zerstört die Lebensgrundlage hunderter Menschen. An sie muss doch gedacht werden."

"Natürlich. Aber das ist nicht unsere Aufgabe. Wenn wir uns einmischen, ziehen wir seine Befähigung in Zweifel, sich selbst darum zu kümmern. Du hast Jacobi quasi vor meinen Augen herabgesetzt. Das belastet die Verhandlungen."

"Ich habe an die Menschen gedacht. Du siehst nur ihre Arbeitskraft; sie sind Zahlen für dich."

Patrizia schnaufte. Als sie sich im näherte, hatte man das Gefühl, sie hinke wie die Hexe aus dem Märchen, aber das täuschte; mit über fünfzig war sie auf dem Gipfel ihrer Kraft, das van Rathen Imperium fest in den Klauen. Isaak ließ sie gewähren, denn sie war brillant. Ihren Sohn Hendrik zog sie als Nachfolger heran und auch Jonas bekam jeden Tag zu spüren, was es hieß, ein van Rathen zu sein: "Richtig. Ich betrachte nicht den Menschen. Ich sehe in den Angestellten nur ihre Arbeitskraft, nur den Teil von ihnen, der für uns bedeutsam ist. Aber ich weiß, dass jeder einzelne ein vielschichtiges Wesen hat, welches fortbesteht, wenn er seine Stelle verliert. Es kümmert mich nicht, aber ich bin mir darüber im Klaren. Wenn du glaubst, wir zerstören das Leben eines jeden, den wir entlassen, reduzierst du ihn auf seine Arbeit und nicht ich. Vereinzelt mag es solche Menschen geben, aber das sind kümmerliche Existenzen!"

Da war sie wieder, die kalte Berechnung; aber stets war ein Kern Wahrheit enthalten. Jonas hatte noch nie einen Disput mit ihr gewinnen können, bestenfalls hatten sie sich im Streit getrennt; aber der junge Mann blieb unverdrossen, stellte sich ihr immer wieder entgegen. Dann lebte sie auf, ihre Augen sprühten, ihre Argumente schnitten wie ein Skalpell durch die Haut. Jonas hatte kein Erbarmen von ihr zu erwarten.

"Und doch erwartest du, dass ich nicht mehr bin als eine solche kümmerliche Existenz. Ein Mensch, der nur für deine Ziele geboren ist."

"Es geht nicht um mich", bellte sie zurück, "sondern um die Familie!"

"Zu der du nicht einmal gehörst", als Unterlegener hatte Jonas keine Scheu, sie damit zu bombardieren.

Sie schüttelte sich wie ein getroffener Hund. Ihr gefürchtetes Lächeln blitzte auf: Man sagte, es habe sogar den Diktator Idi Amin zum frösteln gebracht: "Du bist ein Kämpfer, das zeichnet dich aus. Kaum zu glauben, Luisa ist ein so weltfremdes, naives Geschöpf. Es hat mich immer gewundert, wie sie zwei so kluge Kinder in die Welt setzen konnte. Und der kleine Benny scheint ja noch vielversprechendere Anlagen mitzubringen als du."

Vorwürfe gegen seine Mutter trafen Jonas besonders und das wusste sie. Verbitterung machte sich in ihm breit: "Es kommt eine Zeit, in der diejenigen, deren Leben du zerstört hast, von dir zurückverlangen, was ihnen genommen wurde. Es kommt eine Zeit, in der sich niemand der Verantwortung für seine Taten entziehen darf. In diesem oder im nächsten Leben."

"Von Furien gehetzt" von William A. Bouguereau

Ihr Blick wurde unnachgiebig. Immer öfter flüchtete sich Jonas in religiöse Floskeln, wenn Patrizia ihn in eine Sackgasse getrieben hatte. Doch selbst hierhin folgte sie, mit beißendem Spott als Waffe: "Retten wir uns wieder in die Arme Gottes? Sie sind weit mächtiger als die deiner Mutter. Aber bette dich nicht zu bequem in deiner jenseitigen Welt, deren Bestehen unbewiesen ist. Als Hobby lass ich es gelten, doch trenne es vom Geschäft. Denn das Geschäftsleben ist echt und findet im Diesseits statt."

Der Junge kannte das Argument. Tausendmal hatte er versucht, sich einzig der Wirklichkeit zuzuwenden. Aber wie sollte das möglich sein, im Angesicht der Vergänglichkeit? "Alles hier ist endlich. Die Welt wird vergehen - eines Tages. Und wir beide weit früher."

"Dem Leben sind Grenzen gesetzt, innerhalb derer wir Erfüllung finden müssen. Deine jugendliche Ignoranz will die höchsten Gipfel erstürmen, aber du hörst nicht auf uns, auf die, welche danach selbst einst strebten. Du wirst dir den Kopf einrennen an zu hochgesteckten Zielen. Und du wirst scheitern, wenn du in höheren Sphären schwebst, anstatt fest auf dem Boden zu bleiben. Aber das werde ich nicht zulassen. Die Familie braucht starke Anführer. Zu einem solchen werde ich dich formen!"

Alles, nur das nicht! Er wollte nicht so werden wie Sie. Seine Eltern waren schwach; seine Mutter kümmerte sich nicht um das Geschäft, Domizil war ihre einzige Leidenschaft; so konnten die beiden Frauen einander meiden. Und sein Vater ließ diesen Drachen achtlos gewähren: "Was du willst, ist einen Klon. Eine andere Ausgabe von dir selbst. Wozu bin ich denn ich, wenn ich nur dazu geschaffen bin, deine Gedanken zu denken? Ich werde niemals so sein wie du!"

Mit diesen Worten stürmte er aus der Klause; es war das letzte Mal, dass sie zusammentrafen.



Top
» Leseproben «
» Nächste Probe »